„Natürlich muss ich weiterhin meine Rechnungen bezahlen!“

André Rieu redet offen über seine abgesagte Tournee und sein Befinden während der schweren Corona-Krise.


Elbgeflüster: Herr Rieu, wie geht es Ihnen und Ihrem Orchester momentan? André Rieu: Zum Glück gut. Die ganze Familie ist gesund und wir tun alles, dass es so bleibt. Meine Musiker und Solisten kommen ja aus der ganzen Welt, aus 13 verschiedenen Ländern. Darunter die Niederlande, Deutschland, Italien, Polen, Ungarn, Großbritannien, Bulgarien, Russland, Tasmanien, Kanada. Im Moment sind alle zu Hause und gesund.

Elbgeflüster: Die Tourabsage erwischte Sie im denkbar ungünstigsten Moment: Nämlich während der Pause eines Konzertes in Tampa/Florida. Konnten Sie und Ihre 100 Mitarbeiter problemlos wieder nach Hause fliegen? André Rieu: Ja, wir waren Mitte März auf Tournee in den Vereinigten Staaten. Während des ersten Konzertes hielt Trump seine erste Rede zum Thema Corona an die Nation. Danach haben wir schweren Herzens beschlossen, die restlichen Termine, für die rund 60.000 Karten verkauft waren, zu verschieben und sofort zurück zu fliegen. Wir haben es innerhalb eines Tages geschafft, 113 Flüge umzubuchen und sind noch alle gut nach Hause gekommen. Die USA-Tour holen wir 2021 nach.

Elbgeflüster: Müssen Sie jetzt Rechnungen bezahlen, obwohl durch Konzerte nichts reinkommt? André Rieu: Ja, natürlich.

Elbgeflüster: An welchen Stellen können Sie jetzt Kosten sparen? André Rieu: Wir prüfen, was wir jetzt gerade brauchen und was noch warten kann. Beispielsweise schalten wir derzeit keine Konzertwerbung.

Elbgeflüster: Sie haben das größte private Orchester der Welt und insgesamt 130 Mitarbeiter. Haben die sich alle für die geplanten Projekte in 2020 vorbereitet und sitzen jetzt zuhause untätig herum? André Rieu: Vorerst arbeiten alle Mitarbeiter von zu Hause aus, da wir ja viele Termine verlegen müssen, und das Team macht wirklich fantastische Arbeit, neue Daten zu finden. Über Facebook, Twitter und Instagram kommunizieren wir viel mit unseren Fans auf der ganzen Welt. Aber für das Orchester gibt es natürlich derzeit nichts zu tun, da Konzerte, Proben und Aufnahmen nicht stattfinden können.

Elbgeflüster: Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass es weitere Wochen und Monate dauert, bis der Konzertbetrieb wieder beginnen kann. Wie lange können Sie und Ihr Orchester das finanziell überstehen? André Rieu: Es ist noch zu früh, das zu sagen. Wir schauen von Monat zu Monat und hoffen still, dass wir bald wieder spielen können. Ich vermisse mein Orchester sehr. Wir sind eine große Familie.

Elbgeflüster: Haben Sie die Möglichkeit, aus irgendwelchen Notreserven zu leben? André Rieu: Wir haben in den letzten Jahren rund 700.000 bis 800.000 Karten jährlich verkauft, also zum Glück liefen die sehr gut. Aber ich habe auch sehr hohe monatliche Kosten, wenn ich nicht spiele. Wenn die Situation noch sehr lange andauert, werden wir möglicherweise auch staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. In welcher Höhe die ausfallen, kann ich derzeit allerdings noch nicht sagen. Ich denke, im Vergleich zu den USA ist Europa hoffentlich recht gut aufgestellt. In Washington zum Beispiel wurde das ganze Orchester des Opernhauses sofort entlassen. Schrecklich!

Elbgeflüster: Was ist diesbezüglich momentan Ihre größte Sorge? André Rieu: Ich mache mir natürlich Gedanken, wie es weitergehen wird, aber ich möchte meine Sorgen nicht mit denen der Ärzte, Pfleger oder Betroffenen vergleichen. Für sie ist es so viel schwerer. Und sie leisten so fantastische Arbeit!

Elbgeflüster: 2009 waren Sie mit 34 Millionen verschuldet und 2012 mussten Sie aufgrund einer Viruserkrankung drei Monate pausieren. Können Sie aufgrund dieser Erfahrungen mit der Corona-Krise besser umgehen? André Rieu: In den über dreißig Jahren meiner Karriere ist dies jetzt erst die dritte Krise, aber sie ist ganz anders als die vorherigen. Die Situation in 2009 und 2012 konnte ich selbst beeinflussen. Jetzt bin ich vollkommen von der weltweiten Entwicklung abhängig. Ich habe 2009 und 2012 erfahren, wie wichtig familiärer Zusammenhalt, Humor und Musik sind. Das hilft uns natürlich auch jetzt. Ich bin im Grunde ein optimistischer Mensch.

Elbgeflüster: Bei welcher Musik können Sie am besten abschalten und finden Ruhe? André Rieu: Ich höre privat nie Musik. Ich bin im Alltag bei Proben, Konzerten und Aufnahmen von so viel herrlicher Musik umgeben, dass ich zu Hause die Stille bevorzuge.

Elbgeflüster: Wie starten Sie morgens in den Tag? André Rieu: Mit einem guten Frühstück mit meiner Frau Marjorie. Und ich habe schon immer geliebt, zu kochen und zu backen, das mache ich jetzt täglich. Windbeutel, Apfeltaschen, Himbeertorte, jeden Tag etwas anderes. Zum Glück müssen wir nicht alles selbst essen, mein Sohn Pierre wohnt in der Nähe und holt es für seine Familie ab. Meine Frau sagt, wenn das alles vorbei ist, sind wir alle viel zu dick!

Elbgeflüster: Wie füllen Sie persönlich den Raum, der durch abgesagte Proben und Veranstaltungen entsteht? André Rieu: Wir gehen mit den Hunden spazieren, sitzen bei gutem Wetter im Garten, lesen, schreiben, entwickeln neue Programme und planen die nächsten Touren. Eigentlich arbeiten wir einfach weiter. Wir sprechen mit unseren Enkeln über Skype, und ich trainiere mit meinem Trainer über Facetime in meinem Fitnessstudio. Mit das Schlimmste an dieser Krise ist für mich persönlich, dass ich meine Enkelkinder jetzt nicht besuchen kann.

Elbgeflüster: Einige Künstler starten jetzt Aktionen wie Konzerte via Livestream. Haben Sie auch schon ähnliche Ideen? André Rieu: Nicht live, denn der Kontakt zu unserem Publikum ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Konzerte. Aber wir veröffentlichen viele Konzerte und Konzertausschnitte online, auf Youtube, Facebook und auf unserer Website. Videoclips von Musikstücken sowie ganze DVDs. Es ist schön, die Leute mit unserer Musik ein bisschen aufmuntern zu können. Wir erhalten auch viele Anfragen von Fernsehsendern. Glücklicherweise haben wir viel Material, das wir bereitstellen können.

Elbgeflüster: Müssen Ihre Musiker jetzt ins Leere hinein üben oder gibt es Apps, durch die man mehrere Bild- und Tonspuren separat aufnehmen und schließlich zu einem Ganzen zusammenfügen kann? André Rieu: Vor Corona hat auch jeder Musiker zu Hause für sich geprobt, allerdings können wir jetzt natürlich nicht zusammen ins Studio kommen, um etwas zusammen zu entwickeln. Aber wir haben ein Repertoire von über 1.000 Stücken, die alle sofort spielen können. Über Apps kommunizieren wir nicht. Aber vor einigen Tagen spielten alle Musiker in den Niederlanden die „Ode an die Freude“. Mein Orchester natürlich auch, und viele haben sich mit ihren Kindern dabei aufgenommen. Das zu sehen war sehr bewegend. Wir haben daraus einen Videoclip gemacht.

Elbgeflüster: Haben Sie leise Hoffnung, dass die Kulturbranche aus dieser Krise nicht allzu zerstört hervorgehen kann? André Rieu: Jetzt ist die Politik gefragt. Wir haben eine so vielfältige kulturelle Landschaft in Europa, die müssen wir erhalten. Dafür braucht die Branche unkomplizierte finanzielle Hilfen. Ich wünsche wirklich allen anderen Veranstaltern und Künstlern viel Kraft und Durchhaltevermögen. Musik ist und bleibt etwas Fantastisches, man vergisst das Elend für eine Weile, man denkt positiver, man fühlt sich besser. Als ich die ersten Berichte aus Italien über Menschen sah, die trotz ihres schrecklichen Elends gemeinsam auf ihren Balkonen die italienische Nationalhymne sangen, war ich zutiefst bewegt. Daher glaube ich, dass der Bedarf nach Musik und Kultur, wenn das alles überstanden ist, riesig sein wird!

Ähnliche Beiträge

X

Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen ein angenehmeres Surfen zu ermöglichen. Durch die weitere Nutzung stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen