Interview mit Schiller

„Aktuell lebe ich einer Art Parallelwelt!“

Christopher von Deylen belebt mit seinem Musikprojekt „Schiller“ seit über zwei Jahrzehnten die elektronische Musikszene. Im Interview äußert er sich kritisch über den Umgang mit der Unterhaltungsbranche.


Elbgeflüster: Wie erging es Ihnen während der Corona-Hochphase?
Christopher von Deylen: Es hat sich natürlich sehr viel verändert, mit dem man sich nun bis auf Weiteres arrangieren muss. Es gibt ja keinen wirklichen Präzedenzfall, weswegen das zurzeit ein „Learning by doing“ ist. Die Situation ändert sich ständig, wobei die Konstante für Musiker und Künstler sich seit dem März 2020 eigentlich gar nicht verändert hat: Konzerte gibt es im Prinzip nicht. Daher bin ich im Moment sehr viel im Studio und arbeite gerade an einem neuen SCHILLER–Album. Da ist man dann in einer Art Parallelwelt. Dennoch gibt es immer wieder Momente, in denen man realisiert, was in der Welt eigentlich gerade los ist. Und dann macht man sich schon so seine Gedanken.

Elbgeflüster: Seit Corona wissen wir, dass der komplette Unterhaltungssektor nicht systemrelevant ist. Haben Sie für diese Einstufung Verständnis?
Christopher von Deylen: Das ist ernüchternd, aber nicht überraschend. Ich bin gespannt, wie die Branche darauf reagieren wird, wenn wieder Normalität herrscht und Politiker sich mit einer geliehenen Lederjacke Backstage fotografieren lassen möchten (lacht). Die sogenannte Hochkultur wird weitestgehend am Leben erhalten, was aber im Prinzip auch nicht neu ist. Das wird sie ja in „Friedenszeiten“ auch. Die Bayreuther Festspiele haben offensichtlich einen anderen Stellenwert als ein ganz „normales“ Popkonzert. Das ist der alte Klassenkampf zwischen E– und U–Musik. Wogegen im Prinzip auch nichts einzuwenden ist. Am Ende entscheidet das Publikum ja. Andere Branchen, wie zum Beispiel die Automobilindustrie, gelten als deutlich systemrelevanter. Dort tritt man aber natürlich auch wesentlich organisierter auf.

Elbgeflüster: Können allein Politiker, die nicht finanziell betroffen sind, denn solche Entscheidungen überhaupt richtig ermessen?
Christopher von Deylen: Wenn man sich die Vita der meisten Politiker anschaut, dann fällt auf, dass viele in ihrem Leben noch nie abseits der Politik „richtig“ gearbeitet haben. Vermutlich würden viele schon daran scheitern, eine Woche lang verlustfrei einen Zeitschriftenkiosk zu führen (lacht).

Elbgeflüster: Sie feierten dieses Jahr Ihr 22. Bühnenjubiläum. Welches Fazit ziehen Sie?
Christopher von Deylen: Es gab ja nie einen Plan und somit einen roten Faden in meinem Leben, den ich gezielt verfolgt habe. Ich ließ mich einfach immer treiben. Klar gab es nach meinem Studium der Kulturwissenschaften und diversen Jobs in Tonstudios schon mal die Frage „Wo siehst Du Dich in zwei Jahren?“, aber ich konnte diese Frage damals genauso wenig beantworten, wie heute in der Pandemie-Zeit – ich will es auch nicht wissen, denn dank dieser an Naivität grenzenden Unbefangenheit bin ich immer gut durchs Leben gesegelt. Und so wurden die Bühnen wie von selbst immer größer und die Locations immer exotischer. Das alles wäre ohne ein phantastisches und neugieriges Publikum natürlich nicht denkbar. Dafür bin ich wirklich dankbar.

Elbgeflüster: Sie haben es geschafft, eine eigene Klangsignatur zu erschaffen, die den Zuhörer auf eine sanfte musikalische Reise mitnimmt. Kam die Idee dazu, Ende der Neunziger Jahre zum harten Techno eine Art Gegengewicht zu schaffen?
Christopher von Deylen: Eher als eine ergänzende Komponente. Ich mag Trance und Techno und meine ersten Songs waren auch noch stärker in der Clubwelt verankert. Für mich war das aber nur ein Teil der Musik, denn ich habe immer viel abhängig von der Stimmung gehört, um diese zu verstärken. Schiller ist eben die Musik, die ich am liebsten höre, und da es sie in dieser Form noch nicht gab, habe ich angefangen, sie selbst zu machen (lacht). Zum Glück kann ich da mittlerweile einen sehr breiten musikalischen Korridor nutzen.

Elbgeflüster: Ihr aktuelles Album „Colors“ wurde erstmals unter Ihrem eigenen Namen veröffentlicht. Ist der Grund vielleicht, weil es reduzierter und „reifer“ klingt?
Christopher von Deylen: Das kann durchaus sein. Auf jeden Fall ist es eine schöne Möglichkeit, Entscheidungen und Routinen zu hinterfragen und Gedanken neu zu denken.

Elbgeflüster: Anna Netrebko, Lang Lang oder Xavier Naidoo, Sie arbeiteten mit sehr vielen Künstlern zusammen. Welcher wäre denn noch Ihr Traumpartner?
Christopher von Deylen: Definitiv Neil Tennant von den Pet Shop Boys, denn diese Stimme hat mich immer fasziniert und sie fügt sich, glaube ich, auch perfekt in die Schiller-Klangwelt ein.

Elbgeflüster: Mussten Sie schnell feststellen, dass Gesangstalent nicht in ihre Wiege gelegt wurde?
Christopher von Deylen: Ja. Meine eigene Stimme ist denkbar ungeeignet. Aber das brachte mich dazu Gastsänger einzuladen. Insofern ist es sogar gut, da es mich musikalisch weitergebracht hat.

Elbgeflüster: Physische Datenträger spielen immer weniger eine Rolle. Wie bewerten Sie die neuen Gesetze der Musikbranche?
Christopher von Deylen: Es ist ja egal, wie man es bewertet, denn der Wandel lässt sich nicht aufhalten. Ich persönlich mag es lieber, Bild– und Tonträger haptisch schön verpackt zu erleben und habe daher auch mein Netflix-Account gekündigt. Man hat einen ganz anderen Respekt, wenn man eine Vinylscheibe oder eine Blu-Ray genießt. Beim Streaming ist die Gefahr größer, dass man nur flüchtig reinschaut oder reinhört. Aber es ist natürlich auch unbestritten, dass rein digitale Musik bequemer zu konsumieren ist und mehr Mobilität ermöglicht.

Elbgeflüster: Schenken Sie uns zum Abschluss bitte eine Lebensweisheit.
Christopher von Deylen: Ganz einfach: Der Weg ist das Ziel.

Foto: Annemone Taake

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