Interview mit Alice Merton

„Während der Pandemie fühlte ich mich einsam!“

Die deutsch-britische Soul-Pop-Sängerin Alice Merton spricht über Panikattacken, menschliche Enttäuschungen und ihr vielschichtiges neues zweites Soloalbum „S.I.D.E.S.“


elbgeflüster®: Ihr zweites Soloalbum „S.I.D.E.S.“ ist eine Zusammenfassung „der Höhen und der vielen Tiefen, der psychologischen Herausforderungen“, denen Sie sich in den letzten zwei Jahren stellen mussten. In welcher Verfassung waren Sie, als Sie sich das Album erarbeiteten?
Alice Merton: Ich war in keinem guten seelischen Zustand. Das Lied „Vertigo“ habe ich kurz vor der Pandemie geschrieben. Damals habe ich mit einer Therapie gegen meine Bühnenangst begonnen. Das Lampenfieber war so groß, dass es mir keinen Spaß mehr gemacht hat, vor so vielen Leuten zu singen. Und dann kam die Pandemie. Einerseits musste ich nicht mehr Angst haben, jeden Tag auf der Bühne zu stehen, andererseits kam jetzt Existenzangst hinzu. Während der Pandemie musste ich Menschen gehen lassen, die mir sehr wichtig waren. Ich habe das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr gesehen und lag monatelang einfach nur im Bett. Für mich ist es sehr schwer, aus solch einem Loch wieder herauszukommen.

elbgeflüster®: Wie ist Ihnen das gelungen?
Alice Merton: Irgendwann lernt man, damit umzugehen und zu leben. Man erinnert sich wieder, warum das Leben Spaß macht. Man lernt, dass man stärker ist als man denkt.

elbgeflüster®: Hat Musik Ihnen dabei geholfen?
Alice Merton: Auf jeden Fall. Ich habe mich erst dann wieder richtig gut gefühlt, als ich „The other Side“ geschrieben hatte, das letzte Lied auf dem Album. Für mich ein Zeichen, dass es weitergeht und ich irgendwann auch wieder glücklich sein werde.

elbgeflüster®: Sie hassten während der Pandemie den Gedanken, auch nur fünf Minuten mit sich allein zu sein. Wie sind Sie damit umgegangen?
Alice Merton: Am Anfang der Pandemie war ich noch mit meinem damaligen Freund zusammen und habe versucht, mit anderen Leuten in Kontakt zu bleiben. Erst ein paar Monate später ging es mit mir bergab und ich fühlte mich sehr einsam. Bis dahin war ich nie allein gewesen. Ich fing dann an, die Schrecken in der Welt zu beobachten und mich zu fragen: Warum muss man sich das Leben antun?

elbgeflüster®: Und zu allem Übel folgte noch eine private Trennung?
Alice Merton: Ja. Dazu kam eine sehr schwierige Trennung von jemandem, mit dem ich lange zusammengearbeitet habe. Ein weiterer Schlag ins Gesicht. Darüber habe ich dann den Song „Same Team“ geschrieben. Als dieser Mensch mir sagte, er wolle nicht mehr mit mir arbeiten, habe ich nichts mehr verstanden. Weil ich diese Person als mein Standbein angesehen habe. Es war ein sehr ungesundes, besitzergreifendes Arbeitsverhältnis, weil dieser Mensch immer alles angezweifelt hat, was wir getan haben. Selbst dann, wenn es total schön war. Das hat mich fertig gemacht. Nachdem dieser Mensch, an den ich mich so geklammert hatte, gegangen war, brach für mich eine Welt zusammen. Das habe ich jetzt alles musikalisch verarbeitet. Und in „I want my Love back” geht es darum, dass man die Leidenschaft zurückhaben will, die man im Leben oder beim Musikmachen gespürt hat. Die Liebe zur Musik schien bei mir verloren gegangen zu sein.

elbgeflüster®: Die Single „No Roots“ hat in Deutschland mit über 600.000 verkauften Einheiten Dreifach-Gold-Status erreicht, war in Frankreich Platz 1 der Downloadcharts und hat sich weltweit 1,6 Millionen Mal verkauft. Der Song hat Sie sogar in Amerika bekannt gemacht.
Alice Merton: Ich war gerade in Amerika auf Tour im Vorprogramm von Bastille. Alle sagen, wer es nach Amerika schafft, der hat es wirklich geschafft. Aber wenn ich ehrlich bin, macht mir das Touren in Europa mehr Spaß. Die Amerikaner sind sehr offen, aber meine Familie lebt in Europa. Wenn ich hier toure, habe ich das Gefühl, nie ganz weit weg von ihr zu sein.

elbgeflüster®: Sie besitzen die britische und deutsche Staatsbürgerschaft. Wie deutsch sind Sie?
Alice Merton: Ich schätze Pünktlichkeit und Ordnung. Das wären so meine deutschen Eigenschaften. Ehrlich gesagt fühle ich mich zu keiner bestimmten Nation hingezogen. Ich liebe Deutschland, ich liebe England und Kanada, aber ich fühle mich einfach als Mensch.

elbgeflüster®: Haben Frauen es im Musikgeschäft schwerer als Männer?
Alice Merton: Ja, als Frau ist es wirklich schwerer, ins Geschäft reinzukommen, denn es ist eher eine Welt der Männer. Langsam kommen aber mehr und mehr Frauen dazu. Ich bin mit meiner Band seit sechs Jahren zusammen, deshalb wäre es für mich sehr schwierig, jemanden gegen eine Frau auszutauschen. Wir kennen uns alle seit der Uni. Aber ich kenne auch viele Bands, in denen Frauen mitspielen. Das finde ich super.

Foto: Paul Grauwinkel

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